F.A.Z. hat geschrieben:
Die Luxusschlitten und die Brandstifter
In den Januarnächten sind in Berlin 29 Autos angezündet worden - die meisten wohl von Linksextremisten. Der Druck auf die Ermittler wächst. Aber die Polizei tut sich schwer.
Von Julia Schaaf
Als der Knall ihn weckt, denkt er an Silvesterböller, wie auch sonst gelegentlich in der zweiten Januarhälfte. Es ist Samstagnacht, kurz nach eins, und er will weiterschlafen. Wegen des Babys sind die Nächte ohnehin so kurz. Aber beim zweiten Schlag springt er auf. So etwas hat er noch nie gehört. Wie eine Bombe, denkt er und läuft zum Fenster. In der Scheibe eines Nachbargebäudes spiegeln sich Flammen. Es ist sein Auto: Der vier Jahre alte weiße Porsche parkt schräg gegenüber am Straßenrand. Meterhoch schlägt das Feuer aus der Motorhaube. Von dem nagelneuen Kinderwagen, den sie im Kofferraum verstaut hatten, ragt bald nur noch ein verkohltes Rad aus dem Heck. Seine Frau weint.
Aus der bisherigen Bilanz des neuen Jahres: ein BMW X5 und ein Mercedes SLK in Friedrichshain (4. Januar); noch ein BMW und noch ein Mercedes, diesmal in Mitte und Kreuzberg (14. Januar); drei DHL-Transporter in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain; fünf Fahrzeuge der Deutschen Bahn auf einen Streich; der schon erwähnte Porsche Cayenne (25. Januar); ein BMW (28. Januar), ein Porsche (30. Januar), ein Mercedes (31. Januar), um nur die Wichtigsten zu nennen. Dreißig zerstörte Fahrzeuge seit Silvester. "So einen heftigen Januar hatten wir noch nie", heißt es in Berliner Sicherheitskreisen.
In 25 Fällen hat sich der Staatsschutz des Landeskriminalamtes der Sache angenommen. Ein politischer Hintergrund sei nicht auszuschließen, sagt die Polizei, aber schon diese Formulierung offenbart das Dilemma der Ermittler: Eigentlich wissen sie fast nichts. Zwei Bekennerschreiben gab es vergangenen Monat. Unter der Überschrift "Handlanger der Atomlobby angreifen" stand: "Solange die Deutsche Bahn ihr Schienennetz für die Castortransporte zur Verfügung stellt, wird der Konzern auch immer wieder Ziel unseres Protestes sein." In der anderen Selbstbezichtigung ist von "Wut über die bestehenden Verhältnisse" die Rede, die sich an einem Transporter der "Deutschen Heeres Logistik (DHL)" entzündet habe. Dem Tochterunternehmen der Post wird vorgeworfen, dass es seine Dienste der Bundeswehr angeboten hat. So weit, so klar. Wenn die Polizei aber auch sonst mutmaßt, dass sie es mit Tätern aus dem linksextremistischen Spektrum zu tun hat, stützt sie ihre These vor allem auf die Art der angegriffenen Fahrzeuge. Schließlich brennen die meisten Luxuskarossen in ehemals ranzigen Szenevierteln, die von Jahr zu Jahr schicker werden. "Gentrifizierung" oder "Stadtumstrukturierung" heißt das Phänomen, gegen das auf diese Weise vermutlich protestiert werden soll. Die Abgrenzung zu unpolitischen Trittbrettfahrern sei jedoch schwierig, sagt Polizeisprecherin Heike Nagora.
Harald-Fritz Goile blickt aus seiner Dachwohnung über die Straße hinweg, an der noch immer die Brandruine seines Porsche steht und sanft nach Lagerfeuer riecht. Auf dem ehemaligen Schlachthofgelände am Rand des Szenebezirks Friedrichshain passiert sozusagen Gentrifizierung zum Zuschauen: Während Kritiker die Verdrängung alteingesessener Stadtteilbewohner anprangern, weil vermeintliche Yuppies und Nobelläden die Preise in die Höhe treiben, redet Goile lieber von Sanierung, Renovierung, Neuaufbau. Am Horizont ist ein Hotelkomplex entstanden, eine Backsteinfabrik fasst Penthäuser, und auf ehemaligem Brachland entstehen riegelweise "Townhouses", die Reihenhäuser der Gegenwart. Im Vordergrund brummt ein Bagger, nördlich stehen Kräne.
Goile, 43 Jahre alt, Turnschuhe und fester Händedruck, ist selbst Immobilienkaufmann. Er erwirbt und saniert baufällige Häuser, um von der Vermietung zu leben. Der Weg von seiner Küche ins Büro führt an einem Billardtisch vorbei. Goile sagt: "Ich habe hart gearbeitet dafür, wo ich jetzt bin." Er ist mit sechs älteren Brüdern in Bergisch Gladbach aufgewachsen, an einen Karrierekatalysator wie ein Studium war gar nicht zu denken. "Feige" nennt er die Brandstifter. Aber er schäumt nicht. Für den Schaden kommt immerhin die Versicherung auf, die Teilkasko zahlt das Auto, die Hausratversicherung übernimmt Babyschale und Kinderwagen. Auf keinen Fall würde er jetzt hier wegziehen, sagt er. "Dann hätten sie ja erreicht, was sie wollen." Es klingt, als würde er die Täter kennen. Und tatsächlich ist Goile überzeugt, dass die Brandstifter ganz in der Nähe wohnen. Vermutlich in dem besetzten Haus zwei Ecken weiter. Goile sagt: "Jeder weiß, wer das ist."
Wenn es doch so einfach wäre. 233 brennenden Autos in den Jahren 2007 und 2008 steht die Festnahme von 19 Tatverdächtigen gegenüber. Nur in zwei Fällen kam es zur Anklage. Drei junge Männer sind daraufhin zu geringfügigen Strafen verurteilt worden, weil sie erst Mülleimer umgestoßen und dann Papiertaschentücher im Kühlergrill eines amerikanischen Wagens entflammt hatten - keine politischen Aktivisten, glaubt die Staatsanwaltschaft. Der andere Kandidat, der laut Anklage einen Opel Corsa der Deutschen Bahn abfackeln wollte, ist noch gar nicht rechtskräftig verurteilt. Allein einen Verdächtigen dingfest zu machen ist schwierig genug - noch komplizierter ist die Beweisführung. Das liegt an der Technik, mit der die Brände gelegt werden. "Es geht sehr schnell und einfach", schreibt eine Gruppe mit dem Aktionsnamen "Bewegung für militanten Widerstand (BMW)" in ihrem Bekennerbrief von Dezember 2008: "Du brauchst nur ein Paar Handschuhe, ein Feuerzeug und einen Kohlenanzünder, der durch den Kühlergrill geschoben wird, sowie einen bekannten Fluchtweg." So hat der Brandstifter Zeit, zu verschwinden, bis das Feuer bemerkt wird. Und als die Polizei einmal einen Mann verhaftete, in dessen Brustbeutel die üblichen verdächtigen Utensilien steckten, befand die Staatsanwaltschaft: kein hinreichender Tatverdacht.
Die Berliner Polizei steht mittlerweile unter Druck. Nachdem der Polizeipräsident erklärt hat, selbst mit erheblich mehr Personal ließen sich nicht alle Brandanschläge verhindern oder aufklären, spricht der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Robbin Juhnke, von einem Offenbarungseid: "Man muss aufpassen, dass sich der Staat hier nicht vollständig von der Bildfläche verabschiedet und sich nicht lächerlich macht." Trotzdem lehnt die Polizei die Einrichtung einer Sonderkommission als "Schaufensteraktion" ab. Und dem Geraune über die richtigen nötigen Schritte, über Telefonüberwachung, Kamerafallen und Luxuskarossen aus beschlagnahmten Beständen, die als Köder in den einschlägigen Gegenden abgestellt werden, begegnet Polizeisprecherin Nagora mit der Auskunft: "Aus ermittlungstaktischen Gründen können wir keine näheren Angaben machen."
Dabei sind Brandanschläge auf Autos grundsätzlich nichts Neues. Der Berliner Verfassungsschutz datiert die Ursprünge in die achtziger Jahre mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen um besetzte Häuser. Danach waren die Zahlen jahrelang niedrig. Seit den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007, so die Leiterin der Behörde, Claudia Schmid, begleiteten die Autofeuer politische Kampagnen der linken, mehrheitlich nicht extremistischen Szene. Derzeit sei Antimilitarismus ein Schlüsselthema. Schmid sagt: "Unsere Kunden setzen sich auf so was drauf." Damit meint sie die 1160 Linksextremisten, die der Verfassungsschutz in Berlin verortet, die meisten davon Autonome - aber was heißt das schon? Da gibt es organisierte Gruppierungen neben Anarchisten aus Prinzip, politische Basisarbeiter genauso wie Aktivisten, die möglichst militant das von ihnen verhasste System bekämpfen wollen. Und alle seien sie zerstritten, sagt Schmid. Spekulationen über die Täter lehnt sie ab.
Und die Taten selbst? "Unpolitisch, nutzlos, phantasielos", schnaubt der emeritierte Politikwissenschaftler Peter Grottian. Als Frontmann außerparlamentarischer Proteste hat er es in der Vergangenheit nicht immer so genau mit dem Gesetz genommen. Andererseits haben sie auch ihm den klapprigen BMW abgefackelt, schon 2002, weil er die Randale rund um den 1. Mai in Kreuzberg einhegen wollte. Jetzt sagt Grottian, ihn beunruhige die Sprachlosigkeit der Täter. "Da wird auch der Kapitalismus nicht kritisiert, da wird nur angesteckt. Das ist ein lautloser, subversiver Protest, in den man hineinlesen muss, was die Motive sind."
Polizeisprecherin Nagora sagt unterdessen: "Die Polizei rät den Besitzern hochwertiger Autos, ihre Schätze nachts nach Möglichkeit gesichert abzustellen."
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 08.02.2009, Nr. 6 / Seite 58